Die Kaul-Orgel von St. Johannes in Weinsberg

Die im Ostchor der gothischen Kirche St. Johannes in Weinsberg aufgestellte Orgel ist die zweite, die Gernot Wurst in seiner Prospectum-Serie als Sample-Satz veröffentlicht hat. Sie wurde in den Jahren 1989/90 vom Orgelbauer Marcus Kaul gebaut. Nicht alle klingenden Stimmen sind komplett neu, da die Kirchengemeinde drei Register aus anderen Orgeln ankaufen konnte; einen Subbass, ein über hundert Jahre altes Holz-Gedeckt und ein Pommer 8'. Auf diese Weise entstand aus der ursprünglich geplanten Kleinorgel schließlich ein zweimanualiges Instrument mit 20 Registern und zwei Tremulanten.
Wie Gernot Wurst ausführt, war es nicht das Ziel, die exakte virtuelle Kopie einer Orgel zu schaffen, sondern ein Instrument zusammenzustellen, dass sich durch Qualität, geringe Speicherbelegung, flexiblen Einsatz und Erweiterbarkeit auszeichnet. Daher sind spätere Upgrades bei Anzahl der Stimmen und Manualen durchaus realistisch. Das gleiche Instrument soll dann auch im HW 2.10-Format angeboten werden.
Bei der Disposition ist zu unterscheiden zwischen den Stimmen des Originals (acht im Hauptwerk, acht im Brustwerk und vier im Pedal) und durch separate Aufnahme beziehungsweise "Ausborgen" entstandenen. Sie erweitern den Umfang auf 14 im Hauptwerk, 13 im Brustwerk (mit Septime 1 1/7' und None 8/9') sowie acht im Pedal. Die Manualwerke verfügen über je eine 16'-Lage; das Pedal weist sogar einen 32'-Untersatz auf. Zungenstimmen finden sich als Dulzian (HW), Rankettino (BW) und Fagott 8'/Kontrafagott 16' im Pedal.
Da man den Kirchenraum für die Aufnahme mittels 50qm Schaummaterial "trockengelegt" hatte, sind so gut wie keine Hallanteile zu hören. Diese Methode hat durchaus Vorteile für das Spielen schneller Passagen (Staccati), zur Kontrolle der Artikulation beim Üben und bei der Wiedergabe in Räumen mit natürlichem Nachhall. Wo dieser fehlt, wird man auf elektronische Hallerzeuger zurückgreifen müssen - gut, dass diese mit einem Stereosignal angesteuert werden können.
Eine umfangreiche Dokumentation zu Vorbild und Sample-Satz sowie Demo-MP3s (alle HW1) gibt es auf den Prospectum-Webseiten. Aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen verhallten und trockenen Aufnahmen.

Das Meiste zur Rensch-Orgel aus dem gleichen Haus Gesagte gilt auch hier. Das Kaul-Instrument dürfte sicher eine vorzügliche Übungsorgel für Hauptwerk abgeben, die in der erweiterten Form mit ihren 34 Registern das neckargartacher Instrument an spieltechnisch nutzbaren Klangfarben noch übertrifft. Die beiden Normalfundamente Prinzipalbaß 16' und Subbaß 16' im Pedal können geradezu als Musterbeispiele für unterschiedliche Obertonspektren und Anspracheschnelligkeit gelten; der Prinzpalbaß deutlich streichend und schnell, der Subbaß langsamer sowie mit Vorläufertönen ansprechend und dunkel timbrierter. Gernot Wurst hat den Untersatz 32' glücklicherweise nicht auf Subwoofer-Linearität bis in die tiefsten Tiefen getrimmt. So kann der seine Energie kaum hörbar aber dennoch verstärkend im Verbund mit den 16'-Stimmen beisteuern.
Das allein gezogen so zurückhaltend erscheinende und wenig grundtönige Rankettino im Brustwerk erhält durch Verstärkung mit z. B. Flauta 8', Flauta 4' und Prinzipal 2'erstaunliche Durchsetzungskraft gegenüber Hauptwerk-Kombinationen. Ähnliches gilt für den Dulzian im Hauptwerk. Stellt man ein Labialplenum in beiden Werken zusammen, so sind diese zwar beide strahlend, haben aber unterschiedliche Fülle und schreien nicht. Im Brustwerk fügt die seltene None 8/9' noch ein Tüpfelchen an diskretem Glanz hinzu. Schnell lernt man, besonders bei hallfreier Wiedergabe, dass Oktävlein 1' und None 8/9' - miteinander gezogen - keine harmonische Paarung bilden. Die wenigen Zungenstimmen sind untereinander differenziert und geschickt auf beide Manualwerke und Pedal verteilt. Die erweiterte Variante ist mit einem Schweller ausgestattet.
Die ohne jeglichen Raumanteil aufgezeichneten Pfeifensamples wirken selbst im Stereoformat besonders im Plenum bei Wiedergabe in kleinen Räumen ohne verbindenden Nachhall schlichtweg unnatürlich - kein Wunder, denn schließlich entzieht man der speziell in einen Raum hineingebauten Orgel komplett die Wechselwirkung mit diesem. In vielen Fällen können trockene Samples jedoch durchaus von Nutzen sein. Sie eröffnen beispielsweise die Möglichkeit, einen Raum nach eigenen Wünschen zu gestalten und überdies den Hallanteil zu variieren. Das geht sowohl beim Live-Spiel als auch "non-destruktiv", wenn man sich entsprechend ausstattet. Auf Werkstaffelung heisst es dann freilich verzichten. Einige Tips zur synthetischen Hallerzeugung finden sich auf der Webseite Eine Virtuelle Compenius-Orgel (2).

Virtueller Spieltisch des Originals in HW1......und erweiterte Version
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Die Stimmung des Instrumentes ist gleichschwebend (a=440Hz). In den ODFs hat man auch Trakturgeräusche von Manualen und Pedal berücksichtigt, die sich jedoch abschalten lassen. Die unterschiedliche Registeranzahl schlägt sich auch in der RAM-Belegung nieder: Während die erweiterte Version in HW1 etwa 1,1GByte belegt, begnügt sich die originale Orgel mit ungefähr 700MByte.

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