Die Masterworks-Theaterorgel MW3-31 für Hauptwerk

MW3-31 Spieltisch Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die 2/8-Wurlitzer-Theaterorgel aus Champaign, Illinois, als bisher einziges Instrument dieser Gattung für Hauptwerk ein wesentlich erweitertes Pendant bekam. Doch jetzt ist sie verfügbar: die neue MW-3-31 von Milan Digitalaudio für HW2. MW steht hier für Masterworks und dies wiederum für eine virtuelle Orgel, deren Zusammenstellung von 31 Ranks und Gesamtanlage nicht auf nur einem realen Vorbild beruht, sondern eine Kombination mehrerer darstellt.
Die drei Manuale sind zusammen mit dem Pedal drei in dieser Gliederung real allerdings nicht existierenden) Werken Accompaniment (Accomp), Great, Solo sowie dem Pedal fest zugeordnet. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass von diesen drei Werken jedes über eigene Pfeifen verfügt. Wie bei solchen Orgeln üblich, kommt hier das Multiplex-Prinzip (Unification) ins Spiel; dabei stellen Ranks einen Bestand an realen Pfeifenreihen (in vollem Manualunfang) dar, in den sich Manuale und Pedal teilen und der üblicherweise auch mehrmals genutzt wird.
Das ist der Grund dafür, dass eine Orgel derartigen Umfangs mit einigen zusätzlichen Einspartricks durchaus mit weniger als 2GByte RAM spielen lässt. Einzelheiten zur Disposition finden sich hier.

Die Gestaltung des virtuelle Spieltisches ist an ein reales Vorbild angelehnt, das im Elsinore-Theater, Oregon, steht. Auch einige Pfeifen-Samples stammen von dort, andere wurden neben denen verschiedener Mighty Wurlitzers einer E. M. Skinner- und einer Kimball-Orgel entnommen oder - mit auf einer speziellen Windlade aufgebänkten Pfeifen - trocken aufgenommen. Glücklicherweise hat man bei Milan Digitalaudio die individuelle Ausprägung bei der Obertoncharakteristik des Pfeifenmaterials nicht begradigt, sondern ohne wesentlich korrigierende Eingriffe übernommen und zudem für eine Über-Alles-Stimmigkeit gesorgt. Daurch erhielt auch dieses Instrument eine Art Persönlichkeit, die sich indessen deutlich von der einer Kirchenorgel unterscheidet.
Wenn man auch die Registerzungen in diesem Fenster nicht per Mausklick aktivieren kann, so ist dies doch dann sehr hilfreich, um Manual- und Pedalzuordnungen zu kontrollieren. Voll funktional sind auch die Schwellpedale; von links nach rechts für die Main- und Solo-Kammer, die Gesamtlautstärke (General) und den programmierbaren Crescendo-Schweller ganz rechts. Der Steinway-Flügel mit seinen zwei Velocity-Layern ist keiner Windkammer zugeordnet. Die Begriffe M (Main) und S (Solo) finden sich übrigens als Kürzel bei verschiedenen Registern wieder und erleichtern die Zuordnung zu den Schwellpedalen.
Man muss sich schon ganz klar machen, dass das Spielen eines Werkes auf der TO - und sei es noch so provisorisch - nur dann musikalisch interessant zu gestalten ist, wenn Registerfarben und ihre Wechsel, der Gebrauch der reichlich vorhandenen Koppeln, der Schwellereffekte und das Setzen von Akzenten durch raschen Manualwechsel, Traps-Betätigung und einiges andere vorher, sorgfältig sozusagen klangdramaturgisch, geplant werden. Hier liegt einer der Unterschiede zu einer sakral disponierten Orgel, bei der man möglicherweise durch Ziehen einer bewährten Kombination aus 8', 4', 2' einer Aliquote und eines Subbass im Pedal (so vorhanden) bereits eine klanglich brauchbare Basis schafft. Die TO lebt von der ständigen Dynamisierung bei der Interpretation (zugegeben oft recht trivialer) Werke. Lässt man diesen Punkt außer acht, dann kann man auch auf einem so großzügig mit Registern ausgestatteten Instrument keine überzeugende Wiedergabe erreichen.
Wie üblich bei Theaterorgeln gibt es keine c/c#-Laden, nur die beiden erwähnten Kammern, deren Pfeifenaufteilung beim Vorbild wohl selten rein akustischen Erwägungen folgt. Um die Wiedergabe der virtuellen TO dennoch lebendig zu gestalten, ist mehrkanalige Abstrahlung bei Lautsprecherwiedergabe geradzu ein Muss. Die genaue Aufgliederung der Register auf beide Kammern findet sich auf der Dispositions-Webseite.

Virtueller GesamtspieltischSolo- und Great-Register Accomp- und Pedalregister

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Nach dem Laden der Orgel erscheint voreingestellt zunächst der Gesamtspieltisch als Fenster 'Full View' mit wesentlichen Bedienelementen wie Register, Koppeln, Traps (Einzel-Effektauslösern), Setzern, Tremulant-, Second Touch- und Pizzicato-Schaltern (Abbildung ganz links). Bei über 350 Stellelementen gilt es, ein Problem zu lösen: Wie setzt man die sich beim Vorbild über den ganzen Umfang des Hufeisen-Spieltisches erstreckende Doppelreihe der Registerzungen so in die Bildschirmdarstellungen um, dass sich nach einiger Lernphase der erwartete intuitive Zugriff einstellt? Die hier gewählte mehrreihige Anordnung folgt der Regel "Von laut und tief nach hell und leise", zusätzlich trägt ein Farbschema mit z. B. schwarzen Koppeln zur schnellen Identifizierung bei. Es entspricht dem auf den Registerzungen im Gesamtbild des Spieltisches angewendeten. Selbstverständlich interagieren die beiden Werk-Darstellungen mit der Full View und zeigen aktivierte Elemente synchronisiert.
Die vergrößerten Abbildungen wurden in etwa auf die Füllung eines 17-Zoll-Bildschirms eingerichtet; sie haben noch längst nicht die originalen Dimensionen des Sample-Satzes. Für einigermaßen praxisnahes Spielen ist eine 19-Zoll-Ausführung unumgänglich. Will man nicht einen realen Spieltisch für eine solche Orgel anschaffen, so empfiehlt sich hier der Einsatz von Touchscreens - und zwar deren zwei. Jeder der 19-Zoll-Bildschirme muss eine Auflösung von 1280 x 1024 Pixel haben. Eine geeignete Grafikkarte vorausgesetzt, sind dann die 'Werke' Solo/Great auf dem einen und Accomp/Pedal auf dem anderen rechts und links der Manuale in ausreichender Größe darstellbar. Immerhin wird die beim Vorbild mehr als einen Meter lange Zungenreihe beim virtuellen Instrument auf wenige hundert Quadratzentimeter zusammengedrängt, ganz abgesehen von den übrigen Elementen.
Die Registerbezeichnungen stehen zwar oft für reale Blas-, Streich- oder Perkussionsinstrumente, sind diesen tatsächlich aber meist nur entfernt ähnlich. Der Grund dieser merkwürdigen, aber traditionell üblichen Terminologie mag darin liegen, dass beispielsweise die perfekte Nachahmung einer Harfe eben nur mit einer Harfe möglich wäre. So klingt das Register "Harp" (und auch die Sub Harp als mitspielender 16-Fuß) weitaus weniger nach Harfe als nach einem milden Xylophon mit sehr kurzer Nachklingzeit. Auch das beim Laden in der Stop List erwähnte Vibraphon ist unter den Registern so nicht zu finden, sonder erscheint als Chrysoglott.
Das Flügel-Register wurde állerdings einem echten Flügel mit zwei Layern entnommen. Wer ihn mit seiner absichtlich begrenzten Anschlagdynamik spielen will, muss ein Keyboard mit Velocity-Steuerung einsetzen - eine bei Orgelmanualen nicht sehr verbreitete Eigenschaft. Noch seltener ist die bei TOs übliche Second-Touch-Funktion; sie setzt einen separaten MIDI-Kontaktsatz voraus, der erst bei stärkerem Durchdrücken einer Taste eingeschaltet wird. Versierte Theaterorganisten nutzen diesen Effekt für die Hervorhebung besonderer Stimmen innerhalb eines gehalteten Akkordes - mit Sicherheit eine Spieltechnik, die erarbeitet sein will. In der MW3-31 gibt es eine reichliche Second-Touch-Ausstattung, die die klanglichen Möglichkeiten nicht unwesentlich erweitern dürfte.
In der Gebrauchsanleitung (User Guide) finden sich Details zum Sample-Satz. So ist die TO in 24-Bit-Auflösung spielbar, wenn man über ausreichend Speicherplatz verfügt. Wie in HW generell vorgesehen, kann man eine Reihe von Sparmaßnahmen einsetzen, um das Instrument mit 16-Bit-Samples auf 2 GByte RAM zu begrenzen. In voller Auflösung und mit allen Loops werden annähernd 6,3GByte belegt. Steht eine Mehrkanal-Audiokarte mit entsprechender Wiedergabeanlage zur Verfügung, dann ist bei der TO eine RAM-Reduzierung durch Laden der Samples in mono und Aufteilung auf unterschiedliche Lautsprechergruppen auf 3,2 GByte ohne sonstige Kompromisse möglich. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass alle Pfeifen lückenlos chromatisch aufgezeichnet wurden.
Wer sich genauer mit den Bezeichnungen für TO-Registern befassen möchte, dem sei die Enzyklopädie der Orgelregister empfohlen. Nur soviel zu Krumet 8' und Kinura im Great-Manual: Beide sind farbgebende Zungenregister mit regalähnlichem Klang. Die oft als Clown der TO bezeichnete Kinura wird allein kaum eingesetzt. Vergessen wir nicht, dass die TO ihre Wurzeln in der Stummfilmbegleitung hat und die Stimmen echte Blas-, Streich- oder Zupfinstrumente nur annähernd imitieren sollten. Im Vordergrund stand seinerzeit zur Hochblüte der Theaterorgel die Herstellung passender Stimmungen zur Bilduntermalung.
Sehr beeindruckend sind die Demo-Clips, gespielt von dem TO-Virtuosen Jelani Eddington, vergleichbar in ihrer Ein-Mann-Orchester-Perfektion etwa mit dem mehrere Jahrzehnte zuvor an der Funkorgel des NDR wirkenden Gerhard Gregor, nur eben mit heutiger Stilistik und anderem Repertoire. Zur überzeugenden Wirkung dürfte die aufwändige Clip-Aufzeichnung viel beigetragen haben: eine Achtkanal-Wiedergabeanordnung mit individuellen Faltungshall, gespielt über Lautsprecher in einem realen Raum und sterofon aufgenommen. Man muss sich schon klar machen, dass ähnliche Resultate unter den üblichen häuslichen Verhältnissen nur mit beträchtlichem apparativen Aufwand zu errreichen sind.

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