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Die Peteghem-Orgel in Haringe/Belgien |
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Das ländliche Dorf Haringe in der belgischen Provinz Westflandern, kurz vor der französichen Grenze im Westen, kann sich eines Kleinods rühmen: In der Sankt-Martinus-Kirche romanischen Ursprungs steht ein wahres Prachtstück von Orgel, 1778 gebaut von Pieter und Lambert-Benoit Van Peteghem und das erste Mal offiziell gespielt im April 1779. Sie kennzeichnet einen Höhepunkt in den Aktivitäten der Orgelbauerfamilie. Diese hatte in einem Zeitraum von mehr als 10 Jahren die belgische Orgellandschaft durch mehrere Instrumente bereichert, die nach dem Urteil von Fachleuten "zum Besten auf ästhetischem Gebiet" der damaligen Zeit zählten. Für uns Heutige ist es ein Glück, dass die Orgel dank ihrer soliden Konstruktion nicht nur die Zeitläufte ohne Schäden überstand, sondern auch allen Anpassungen an den Zeitgeschmack entgehen konnte. Von 1993 bis 1994 erfolgte eine gründliche Überholung. Das orginale Instrument hat die drei Werke Groot Orgel (Grand Orgue/Hauptwerk) mit 17 Registern, Rugpositief (Rückpositiv), 10 Register und Echo mit 2 Registern; es ist mit mechanischer Traktur versehen. Alle Pfeifen außer einer später hinzugefügten Bombarde 16' sind das Produkt der Peteghem-Familie. Von Sygsoft/Niederlande wurde dieses Instrument 2007 gesampelt, wobei genaue Angaben zur Tonhöhe vorliegen. Man hat sie als a'=404 Hz bestimmt, gemessen am Prestant 4' bei 18° Celsius. Wer die Webseite mit den Dispositionsgaben besucht, dem fällt auf, dass die Registerbezeichnungen in flämisch und in französisch gehalten sind. Für Spielhilfen und sonstige Feinheiten der Orgel dürfte die Übersetzung und Erklärung einiger Begriffe hilfreich sein; sie kommen auch beim virtuellen Instrument vor. Das Kistpedaal ist die flämische Bezeichnung für eine Anzahl von (hier 15) Pedalstummeln, die - angehängt an die Grand Orgue - für ein gewisses Fundament sorgen, wohl aber kaum zu gewagter Fuß-Virtuosität auffordern. Der wallonische Terminus lautet "a la francaise". Ein solches Pedal ist besonders bei belgischen, aber auch niederländischen Orgeln durchaus üblich und geht zudem mit Dispositionen sowie anderen Eigenheiten einher, wie sie beispielsweise bei den Orgeln von Tongeren, Langdorp, Aspik, Zilveren und vielen anderen typisch sind. Selbst in einer 1828 von den Gebrüdern Peteghem in Leuven gebauten Orgel findet sich übrigens noch eine solche Fußklaviatur mit ihrem beschränktem Tonumfang. |
Die beiden auf dem Pedalfoto unübersehbaren Hebelmechanismen am hinteren Ende dienen zur Betätigung der beiden Trommelregister (Tambours), bestehend aus je drei stark gegeneinander verstimmten Bourdon-Pfeifen. Sie erzeugen ein brummelndes, immer noch tonal gefärbtes Geräusch, das für die Menschen vor über zweihundert Jahren offensichtlich ein ungewöhnliches Klangereignis bei einer Orgel darstellte. Wie bei vielen Instrumenten in Belgien und den Niederlanden, die während dieser Periode gebaut wurden, darf das Zwitschern der Nachtigall (Rossignol) nicht fehlen. Es erklingt, wenn man den Orgelwind durch ein wassergefülltes Gefäß leitet und erinnert eine (sehr dezente) Schiedsrichterpfeife.
Während die Register im Gesamtbild der virtuellen Konsole unbeweglich sind, lassen sich Manual- und Pedaltasten betätigen. Am Mitbewegen der Manualtasten ist auch zu erkennen, dass das Pedal angehängt ist. Die sieben senkrecht angeordneten Schaltfelder rechts im Registre-Fenster beziehen sich auf feste Kombinationen, die im Combinaison-Fenster zu defineren sind. Sie dürften zusammen mit den 20 hauptwerk-eigenen und werkunabhängigen Speicherplätzen (Generals) genügend Raum für das Festhalten eigener Registerzusammenstellungen bieten. Mit Arrêt setzt man die Gesamteinstellung zurück. Anders als beim Vorbild ist der Tramblant royal nicht vollständig deaktiviert, sondern arbeitet mit schnellerer Modulationsfrequenz.
Eine Schiebekoppel stellt die Verbindung von Grand Orgue und Positif (Accouplement GO - POS) her. Von den beiden Tremulanten "Tramblant doux" und "Tramblant royal", die beide auf alle Werke wirken, ist letzterer als der ursprünglich kräftigere beim Vorbild schon längere Zeit nicht mehr in Betrieb. Das Echowerk enthält nur zwei Register, diese aber als gleichzeitig erklingende Kombinationen: Bourdon 8' et Flutte 4' bzw. Cornet 3st , von dem 2st von Bourdon et Flutte entnommen wurden. Die Register sind nur im Manual-Diskant wirksam.
Die Orgel ist nach Rameau temperiert, eine vom Mitteltönigen abweichende Skala, die von Rameau etwa um 1726 eingeführt wurde. Er näherte sich damit einem seit der Mitte des 17.Jh aufkommenden Problem auf seine Weise (wie schon andere vor ihm und auf ihn folgende) an: Weniger reine Terzen durch vergrößerte Quinten, dadurch aber mehr spielbare Tonarten. Einige der oben genannten Instrumente weisen eine daran angelehnte Temperatur nach dem von ihm offensichtlich beeinflussten Jean-Le Rond d'Alembert (ab 1752) auf.
Das virtuelle Instrument kann, da es durch unterschiedliche Orgeldefinitionsdateien festgelegt wird, Varianten bieten, die deutlich über die Anlage des Originals hinausgehen. Bezieht man die Fassungen für HW 2.xx ein, so gibt es insgesamt acht ODFs. Da HW 2.xx inzwischen überholt ist, sollen nur die vier für HW 3.xx (vorzugsweise ab 3.11) hier besprochen werden; sie setzen sich aus je einer originalen - sie hat die feste Pedalzuordnung - und einer erweiterten Version (jedes Register an das Pedal koppelbar) mit den Auflösungen 1024 * 768 und 1280 * 1024 Bildpunkten zusammen. Jede der virtuellen Orgeln enthält nicht weniger als sieben Bildschirmfenster, eines für eine Nachbildung des Real-Spieltisches (Claviers), zwei für die Registerfelder rechts und links (Jambage), eine Darstellung aller Register in einem Fenster (Registres), die Voreinstellungen der Kombinationen (Combinaisons), die Windanzeige (Vent) und mehrere Bilder der Kirche sowie der Vorbildinstruments.
Die nachstehenden Abbildungen beziehen sich alle auf die originale Version mit ihrem Tonumfang von C - f'''. Der hier nicht gezeigte Bildschirm für die Windanzeige enthält noch fünf Knöpfe zur Aktivierung des Manualtrakturgeräusches (Bruits de Traction), der Registriergeräusche (Bruits de Registres), des Windmotors (Soufflerie), Anschalten der Kirchenglocke (Cloche) und Leeren des Balges (Ventil).
Virtueller Gesamtspieltisch (Originalfassung)
Zugehörige Registres
Combinaisons
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Die erweiterte Version hat vor allem den Vorteil, dass sich jedes vorhandene Register der drei Werke an das 30-Tasten-Pedal koppeln lässt, ob diese gezogen sind, oder nicht. Dazu dienen kreisrunde, mit "P" bezeichnete Schaltfelder neben den Registern. Im Echowerk gibt es vier Stimmen; Bourdon 8' und eine Flutte 4' klingen hier immer gleichzeitig. Die zweite Stimmenkombination besteht aus Cornet Bourdon und Flutte, ergänzt durch einige zusätzliche Pfeifen zu einem Cornet. Details dazu sind der Dispositionsseite von Sygsoft zu entnehmen. Wird unter nicht optimalen Beleuchtungsbedingungen gespielt, könnte der Unterschied zwischen aktiven und abgeworfenen Registern noch ein wenig stärker kontrastiert sein.
Weitere Freizügkeit bei der Registrierung erlaubt die im Windfenster zugängliche Manualteilung von dafür einrichteten Registern. Betätigt man "Division Si-Do", so werden die Manuale (abweichend vom Vorbild) zwischen B-59 und C-60 in geteilt. Will man bei aktivierter Teilung dann beispielsweise die Trompete 8' einschalten, sind beide Registerknöpfe zu drücken. "Claviers non divisés" hebt als Standardeinstellung die Teilung auf; dann genügt ein Druck auf einen der Registerknöpfe. Zur originalen Manualteilung gelangt man mit "Division Do-Do#". Es empfiehlt sich, Teilung oder Nicht-Teilung festzulegen, bevor man andere Register wählt, um unerwartete Ergebnisse zu vermeiden.
Die Originalaufzeichnung erfolge mit 96 kHz Abtastrate und 24 Bit Auflösung. Die durchaus reichhaltig zu nennende Disposition fordert unmittelbar ihren Preis bei der RAM-Belegung; so werden bei 24 Bit/ 48 kHz ohne jegliche Einsparungsmaßnahmen, aber mit auf 16 Bit reduzierten Geräuschen etwa 7,5 GByte benötigt. Nur mit 14 Bit Basisauflösung und allen Spartricks kommt man auf 2,4 GByte - ein der Klangqualität nicht gerade gut tuender Reduktionsschritt. Im Praxistest ausgesprochen positiv machten sich die Multi-Release-Samples, von denen es jeweis drei für Lang gehaltenen Noten, Staccato und Portato. Dem Tramblant stehen nicht weniger als 18 Samples pro Stimme zur Verfügung; außerdem ist er separat für jedes der drei Werke einzuschalten.
Ganz ohne Zweifel füllt die Peteghem-Orgel von Haringe ein Lücke im Angebot von Sample-Sätzen. Wer sich für unterschiedliche Bauperioden und den dahinter stehenden Gestaltungsideen interessiert, wird an diesem Instrument viele Eigenheiten entdecken, die in dieser Form woanders nicht zu finden sind. So ist ein Charakteristikum dieses noch deutlich vor der Romantik disponierten Orgeltypus das Fehlen einer Schwebungsstimme. Neben den knapp, aber ausreichend besetzten Äquallagen deuten die reichen, kräftigen, aber nie aufdringlichen höheren Fußlagen wie Fourniture, Doublet, Cornet und Nazart auf ältere Traditionen hin. Besonders gefallen kann das original von der Peteghem-Familie stammende Cromhooren 8' mit seinem ausgesprochen reizvollen, über die ganzen Tonumgang wohl ausgewogenenen Spektrum. Zusammen mit dem vorzüglich modellierten Tremulant verführt es zu häufigem Einsatz als Solostimme.
Barocke Literatur lässt sich - das zeigen auch die Klangbeispiele auf den Sygsoft-Seiten - mit leuchtenden Klangkronen und damit gut zeichnend wiedergeben. Das liegt teilweise auch am umgebenden Raum mit insgesamt kurzem Nachhall und hellen, unaufdringlich ergänzenden Rückwürfen (gut zu hören im Musette von Chedeville). Wem das Ganze zu schwergewichtig bei den Harmonischen erscheint, mag im Intonationsfenster mildernde Umstände schaffen. Was die Lautstärke im Pedal angeht, so ist man natürlich bei allen Eingriffen auf einen Kompromiss zusammen mit den identischen Manualregistern angewiesen, den Bourdon 16' ausgenommen. Beschränkt man sich beim Eingriff auf die unterste Oktave im Manual, so sollte sich ein praxistauglicher Kompromiss finden lassen.
Nicht zuletzt lassen sich am Haringe-Instrument auch jene Bezeichnungen im praktischen Gebrauch üben, wie sie einige Orgelbau-Jahrzehnte später in erweiterter Form bei den großen romatisch geprägten Orgeln ständig vorkommen. Wer nach Klangbeispielen sucht, die über das bei Sygsoft Gebotene hinaus gehen, wird bei www.pcorgan.com, einer niederländischen Site und bei www.contrebombarde.com - und dies nicht nur für das hier besprochene Instrument - fündig. Die letztere Adresse bietet eine recht große Anzahl von Uploads, oft live eingespielt.